Als attraktiver Standort für die Medizintechnik hält die Schweiz hinsichtlich ihrer Dichte und volkswirtschaftlichen Bedeutung weltweit eine Spitzenposition: Mit 52‘000 Vollzeitstellen hat das Land den grössten Anteil an allen Medtech-Beschäftigten in Europa. Hier sind mit rund 1’450 Herstellern, Zulieferern, Händlern und Dienstleistern am meisten Betriebe pro Kopf angesiedelt. Mit einem Anteil von 1,1 Prozent aller Erwerbstätigen, 2,3 Prozent am BIP und 5,2 Prozent an den gesamten Schweizer Exporten toppt die Medtech-Branche sogar die EU und USA (vgl. Facts & Figures).
Umsatz in acht Jahren verdoppelt
Die globalen Top 90 der gelisteten Medtech-Firmen haben in den vergangenen acht Jahren den Umsatz von 180 auf 348 Millarden US Dollar praktisch verdoppelt. Die acht an der Schweizer Börse kotierten SMTI konnten seit 2012 ihre Performance – gemessen u.a. an den Nettoverkäufen, den Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) und dem Personalbestand – konstant steigern und liegen seit letztem Sommer über dem SMI. Gemäss der von Medical Cluster zusammen mit den Co-Autoren Patrick Dümmler und Beatus Hofrichter von ConCep+ publizierten fünften Auflage des SMTI-Reports erwarten die Schweizer Medtech-Firmen beim Umsatz 2014 und 2015 eine durchschnittliche Wachstumsrate von 9,7 Prozent (nach rund 6 Prozent 2012 und 2013): Dabei schätzen grosse Firmen mit einem Umsatz von über einer halben Milliarde das Wachstum lediglich auf 4,4, kleine Firmen mit einem Umsatz von unter einer Million Schweizer Franken hingegen auf 15,7 Prozent.
Effizienz verbessert, Euro-Krise überwunden
In den Zeiten des Umbruchs haben die Schweizer Medtech-Firmen weitgehend ihre Hausaufgaben gemacht und ihre operative Exzellenz verbessert. Sie sind gemäss den Autoren der Studie gut aufgestellt für den nächsten Wachstumsschub. Ein Drittel der Firmen konnte die Euro-Krise mit Hilfe der Währungspolitik durch die SNB bewältigen. Doch die internationale Wechselkursproblematik bleibt weiterhin bestehen, was die Wettbewerbsfähigkeit der SMTI in den betroffenen Ländern wie den USA schmälert. Investitionen werden deswegen zusätzlich in Ländern mit vorteilhafteren Kursen getätigt.
Kleinen Firmen fehlt kritische Grösse
Doch Preisdruck und Regulierungen sind laut 85 Prozent der Befragten die beiden Kernherausforderungen, die sich in einem zunehmend globalisierten und konsolidierten Umfeld noch weiter verschärfen werden. Um diesen adäquat zu begegnen, haben viele Unternehmen, v.a. KMU, gemäss der Studie nicht die kritische Grösse. Hauptsächlich Hersteller mit einem jährlichen Umsatz zwischen 10 und 50 Millionen Schweizer Franken bekunden Mühe, das „Valley of Challenges“ zu überqueren. Sie müssen kreativ werden, um aus ihrer Nischenposition erfolgreicher zu agieren. So ist ihnen im Gegensatz zu den grossen Unternehmen der direkte Zugang zu internationalen Märkten zunehmend verwehrt, das heisst, es fehlen dazu die nötigen Ressourcen. „Sie müssen mit den vorhandenen Fähigkeiten versuchen, intelligente Ansätze zu finden und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln“, raten die Verfasser der Studie.
Fach- und Nachwuchskräfte gesucht
Doch mit den bestehenden Ressourcen Wachstum zu generieren, sei sehr schwierig. (So hat sich das durchschnittliche Beschäftigungswachstum laut Studie seit 2009 von zehn auf 0,3 Prozent verlangsamt.) Bei ihren Bestrebungen nach Effizienz dürften sich vor allem kleine und mittlere Firmen nicht zu schlank sparen. Die Autoren befürchten, dass so manches Unternehmen die rechtzeitige Rekrutierung von Fachkräften (u.a. im Regulatory- und Marketing-Bereich) zu passiv verfolgt hat und dass es hier nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative Engpässe geben könnte. Das Hauptaugenmerk liegt deshalb auf der Verbesserung der Legal & Compliance-, Ingenieur- und IT-Kenntnisse. Vor allem reifere Firmen wollen künftig mehr in die Weiterentwicklung ihres Personals sowie in die Talent- und Nachwuchsförderung investieren.
Innovationen radikalisieren und beschleunigen
2013 haben die SMTI bis zu 17 Prozent ihres Umsatzes in F&E investiert. Über 80 Prozent der Hersteller wenden die Hälfte davon für radikale Neuerungen auf. 44 Prozent der Produkt-Portfolios sind weniger als fünf Jahre alt, 2012 waren es noch 59 Prozent. Eine der Top-Prioritäten für Firmen wird künftig die Erhöhung der Produkt-Innovation und die Verjüngung ihres Portfolios sein. Dazu steht die interne Generierung von Ideen an oberster Stelle. Eine Herausforderung ist die Beschleunigung der Innovationszyklen. So dauern Produktzulassungen aufgrund der steigenden Anforderungen an die klinische und technische Dokumentation immer länger (siehe Info-Graphik und Abschnitt „Der lange Weg eines Medizinprodukts“).
Grosse Hersteller decken Prozessketten ab
Durch die Konsolidierung von Firmen und die Zunahme von Einkaufsorganisationen geraten klassische Geschäftsmodelle unter Druck. Während früher ein Hersteller seine Produkte direkt an die Spitäler vertrieben hat, sind heute Einkaufsgesellschaften und zunehmend Grossunternehmen als Direktlieferanten dazwischen geschaltet.
So dominieren Hersteller mit breiten, innovativen Dienstleistungen und ganzheitlich integrierten Gesundheits-Services schon heute ihren gewählten Markt. In einigen wesentlichen therapeutischen Anwendungsbereichen streben grosse Firmen mit gezielten Übernahmen und Aufkäufen von Produkt-Portfolios die gesamte Abdeckung von Prozessketten an. Visionäre Unternehmen gehen daher immer mehr dazu über, als „Owner of Disease“ oder „Owner of Provider Center“ Behandlungslösungen zu entwickeln. Bei chronischen Erkrankungen findet zunehmend ein Wandel vom klassischen Produkt- und Service- zum Therapie-Anbieter statt.
Partnerschaften und Produkt-Lizenzen
Um Marktanteile zu gewinnen, planen 20 Prozent der Firmen Kollaborationen und Joint Ventures mit Zulieferern, Vertreibern und Käufern. Gefragt sind Partnerschaften und Akquisitionen entlang der Wertschöpfungskette. Firmen mit hohen Wachstumserwartungen konzentrieren sich auf die Entwicklung neuer Services, die grundlegende Umgestaltung ihres Portfolios und die Besetzung von Nischen. Neben Insourcing von Produktionsleistungen zeichnet sich der Erwerb von Produkt-Lizenzen – ähnlich wie in der Pharma- und Biotech-industrie – als neuer Trend in der Medizintechnik ab.
Über 70 Prozent der Hersteller befürchten Konkurrenz von Nicht-Premium-Produkten und Tier2-Angeboten für das mittlere Kundensegment aus den Emerging Markets. (So schätzen führende SMTI den Innovationsvorsprung gegenüber chinesischen Firmen noch auf fünf bis zehn Jahre.) Kundensegmente und -märkte gilt es deshalb, mit bestehenden und neuen Marken – etwa im Rahmen von Multi-Brand-Strategien – zu erobern.
Heimproduktion stärken
76 Prozent der SMTI (5 Prozent mehr als 2012) planen auch in den kommenden zwei Jahren „strategische“ Investitionen, rund 70 Prozent davon in die Produktion und in F&E. Marketing & Sales gewinnt als dritter Bereich an Bedeutung. Der Fokus liegt zusehends auf dem Heimmarkt. So sollen die Ausgaben in der Schweiz um zehn Prozent steigen.
China ein wichtiger Markt
Über die Hälfte der Befragten beabsichtigen, in den nächsten zwei Jahren im Ausland in Marketing- und Verkaufs-Aktivitäten zu investieren – dies hauptsächlich, um dort mehr Kundennähe zu erreichen. Vor allem mittelgrosse Firmen fokussieren in den Aufbau zusätzlicher Produktionsstandorte ausserhalb der Schweiz. Deutschland ist mit fast 60 Prozent ein favorisierter Investitionsmarkt, gefolgt von den USA/Kanada. An dritter Stelle liegt erstmals China. In Deutschland, den USA, China und Frankreich sehen die Befragten neben der Schweiz auch weiterhin das grösste Wachstumspotenzial. Hingegen haben hauptsächlich in Folge erhöhter Eintrittshürden und Inflation Russland, Brasilien und Indien an Attraktivität eingebüsst.
Starkes Schweizer Medtech-Ökosystem
Gemäss dem vorliegenden Report profitiert die Medtech-Branche nach wie vor von den klassischen Schweizer Standortstärken. Dazu gehören Premium-Technologien, hohe Qualität, eine breite Wissens- und Innovations-Basis, erstklassige Hochschulen und Forschungsinstitutionen sowie politische und wirtschaftliche Stabilität. Verhältnismässig viele langfristig orientierte Familienbetriebe und KMU greifen dabei auf ein starkes Netzwerk von Partnern in räumlicher Nähe zu (und teilen die gleiche Geschäftkultur). Regionale Micro-Cluster von Firmen und Institutionen sind hier historisch aus der Uhren-, Maschinen- und Pharmaindustrie gewachsen. All diese Standortvorteile haben dazu geführt, dass sich die gesamte Wertschöpfungskette der Schweizer Medizintechnik im eigenen Ökosystem abdecken lässt.
Fachkräftemangel entgegen wirken
Zur Stärkung des Schweizer Standorts und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der SMTI regen die Autoren der Studie u.a. den Auf- und Ausbau von gemeinsamen Expertenplattformen und -Pools sowie die Erweiterung des Aus- und Weiterbildungsangebots an den Universitäten an. Um dem momentanen Fachkräftemangel entgegen zu wirken, gilt es auch die Zulassung von ausländischen Spezialisten zu verbessern. Weiter empfehlen die Autoren die Beibehaltung einer Schweizer Exportplattform „Medtech“ und den Einbezug der Medizintechnik in Freihandelsverhandlungen.